Interview mit Thomas Hauser für EIN Magazine (China); März 2013

 

EIN: Ihre Fotografien zeigen Dinge wie Blumen, Frauen, Frauenunterwäsche usw.
Warum suchen Sie sich diese weiblichen Sujets aus? Was finden Sie daran so attraktiv?

T.H.: Meine Obsession für Unterwäsche kann ich nicht erklären. Nicht weil ich es nicht will, sondern weil ich nicht weiß woher sie kommt. Sicherlich sind irgendwelche Kindheits- oder Jugenderlebnisse ausschlaggebend - wahrscheinlich ist aber auch meine sehr strenge katholische Erziehung mit daran schuld, dass ich mich dieser Themen widme. In jedem Fall interessiert mich bei den Mädchen ihre Schönheit – bei den Blumen ist es ihre schnelle Vergänglichkeit und bei der Unterwäsche das Sexuelle, Unterdrückte, Verbotene.


EIN: Was ist aus Ihrer Sicht weibliche Schönheit? Gibt es weibliche Körperpartien die Sie besonders interessieren?

T.H.: Weibliche Schönheit begegnet mir tagtäglich ungezählte Male. Als junger Mann hatte ich eine sehr genaue Vorstellung von weiblicher Schönheit. Nur ganz wenige Mädchen fand ich wirklich schön oder interessant – sie mussten von Kopf bis Fuß der eigenen Vorstellung von Schönheit entsprechen. Wahrscheinlich weil man sein Ideal suchte. Heute ist das ganz anders. Ich suche nicht mehr ein Ideal, sondern weibliche Schönheit sehe in fast jeder Frau oder jedem Mädchen das mir begegnet. Die Schönheit der Jugend oder die Schönheit von Reife oder Alter. Die Schönheit die sich in Unsicherheit zeigt oder aber in Bewegungen oder Blicken. Es ist sogar so, dass die größte Anmut und Schönheit oft bei den Frauen und Mädchen zu finden ist, die im herkömmlichen Sinne nicht schön oder hübsch sind. Die, die wiederum uneingeschränkt schön sind, sind schön weil sie schön sind. Weibliche Schönheit ist wie Kunst - ständiger Anlass für Glück und Verzweiflung.


EIN:  Sind die Blumen aus der “Amazona-Serie” in ihrer natürlichen Art und Weise fotografiert? Wenn nicht, wie gehen Sie vor? Wie setzen Sie unterschiedliche Formen von Blumen in Szene? Geschieht dies spontan oder ist es vorher genau geplant?

T.H.: Meine Blumen sind in keiner Weise natürlich fotografiert. Das natürlichste bei den Blumenbildern (als auch bei den Porträts) ist das Licht. Ich fotografiere fast ausschließlich bei Tageslicht (es gibt einige Ausnahmen). Ich kaufe die Blumen die mir gerade gefallen in irgendeinem Blumenladen in der Nähe meines Ateliers oder jemand schenkt mir welche und dann schaue ich sie mir eine Weile an. Dann verteile ich sie in Gefäße von denen ich glaube das sie gut passen. Und langsam entsteht eine Komposition aus Blumen, Gefäßen und Hintergrund (Bühne). Manchmal dauert dies bis zu zwei Wochen, je nachdem wie sich die Blumen halten. Ich arrangiere alles so lange bis es mir gefällt. Das wichtigste ist der Schwebezustand zwischen der Schönheit der Blüten und ihrem Verfall. Da versuche ich genau den richtigen Moment zu erwischen. Die Elemente im Bild müssen den richtigen Dialog miteinander führen. Dann fängt das ganze an zu leben und kurz bevor alles vorbei ist – tot ist – muss ich es festhalten, fotografieren.


EIN:  Schwarz/Weiß-Fotografie ist die herausragende Eigenschaft in Ihren Bildern von Frauen und Blumen. Warum lassen Sie die Farbe weg?

T.H.: Ich fotografiere die Blumen als auch die Mädchen hin und wieder in Farbe. Aber Farbe ist ein eigener Wert der sehr großes Gewicht in einem Bild hat. Farbe kann man nicht ignorieren. Für das was ich zum Ausdruck bringen will stört mich die Farbe.


EIN: Welche Kameras benutzen Sie  für Ihre unterschiedlichen Projekte in S/W und Farbe?

T.H.: Für meine S/W-Aufnahmen fotografiere ich mit 2 Großbildkameras im Format 4x5” und 8x10”. Farb-Fotos mache ich fast ausschließlich mit Kleinbildkameras.


EIN: Ihre Fotos von Frauen („November 2 P.M.“ & „Kuenstlerinnen“) wirken wie ein Déjà vu der Stillleben-Fotografien („Amazona“). Fotografieren Sie die Frauen ähnlich wie ein Stillleben? Gibt es eine Gemeinsamkeit, eine Beziehung zwischen den Fotos von Frauen und Blumen, Stuhl und Vase?

T.H.: Ja, die Blumenstillleben gab es zuerst. Dann hatte ich vor die Mädchen ganz genau so zu fotografieren wie die Blumen. Das ganze Setting ist ja sehr ähnlich: Grauer oder schwarzer Hintergrund, eine bühnenartige Inszenierung und vor allem das gleiche Licht und die gleiche Kamera. Die Gefäße und die Stühle haben tatsächlich auch eine ähnliche Funktion. Es sind ja ungewöhnliche Gefäße die ich als Vasen benutze. Sobald ich aber richtige Vasen verwende wirken mir die Bilder zu konventionell und zu sehr arrangiert. Ich mag das beiläufige, den kurzen Moment in dem alles in einer schrägen Harmonie erscheint. Die Bierflaschen, Blechdosen und sonstigen Behälter die ich für die Blumen gebrauche verhindern vor allem diesen Effekt von Wohnungsstillleben. Zuhause würde man Blumen eher  nicht in eine Bierdose stellen. Meine Bilder sind alle im Atelier aufgenommen - die Stillleben sind sozusagen aus einem erkennbaren räumlichen Kontext isoliert. Und dadurch, dass ich kein künstliches Studiolicht benutze sehen sie auch nicht so wie typische Kalender-Stillleben aus. Das besondere an diesen Blumen-Bildern ist, dass mich die Blumen gar nicht interessieren - von vielen weiß ich noch nicht mal die Namen. Mich interessiert was mit den Blumen passieren muss, um ein bestimmtes Gefühl in einer Fotografie zu erzeugen. Bis mir das gelingt haben die Blumen einiges zu ertragen. Und dieser Prozess steckt mit in den Fotos. Man sieht das etwas mit den Blumen passiert ist bevor sie im Foto festgehalten wurden. Bei den Porträts ist alles sehr ähnlich - nur sehr viel komplizierter. Ich kann Menschen nicht wie Blumen behandeln und trotzdem ist der Prozess vergleichbar. Ich benutze diese alten gefundenen Stühle weil sie kein Design haben, keine leicht zuzuordnende Zeit. Wenn dann noch die Kleidung der Mädchen etwas derangiert wirkt, mit Strumpfhose und Handschuhen – oder aber mit einem Pullover bekleidet und sonst gar nichts, ergibt das diesen von mir gesuchten Schwebezustand – einen Zustand von absichtlicher Unentschiedenheit. Von Intimität und Nähe im Ausdruck aber in der Pose repräsentativ. Die Mädchen sitzen sozusagen auf ihren Stühlen und gleichzeitig auch zwischen den Stühlen. Es sind klassische Porträts - aber teilweise findet man ein Bild weiter dieselbe Person als Akt fotografiert. Zwischendrin sind sie in Unterwäsche oder Badeanzügen mit Strumpfhose zu sehen. Was in den Blumenbildern manchmal in einer einzigen Aufnahme steckt, passiert bei den Porträts in einer Serie. Insofern sind Blumen und Mädchenbilder sehr ähnlich. Ich würde gerne mal Mädchen und Blumen zusammen fotografieren - das ist aber sehr schwer.

EIN: In Ihren S/W-Fotografien verspürt man eine kraftvolle Stille. Was bedeutet Stille für Sie?

T.H.: Stille ist die vollkommene Abwesenheit von Geräuschen und Bewegung. Und ein fotografisches Bild ist der perfekte Container um diesen Zustand festzuhalten. Nicht nur das dargestellte steht still, sondern auch die Zeit. Ich glaube das sind die beiden Gründe warum ich Fotografien so sehr mag. Die Stille oder der Stillstand der Zeit kann manchmal wie Beton wirken - das ist was ich versuche, in meine Bilder zu packen.

 

EIN: In einem anderen Interview erwähnen Sie Ihre Vorliebe an Sonntagen durch die Straßen von Berlin zu spazieren. Sie erzählen von Stimmungen die Sie suchen, die denen dem Fotografieren von Porträts und Stillleben entsprechen. Gibt es irgendwelche anderen besonderen Momente, die Sie mit uns teilen könnten?

T.H.: Die Momente von denen ich gesprochen habe, beziehen sich auf das Fotografieren. Ich gehe durch die Stadt und plötzlich sehe ich etwas das mir interessant erscheint. Dann muss ich es mir durch den Sucher der Kamera ansehen und unter Umständen passiert in diesem Moment etwas das schwer zu beschreiben ist. Ich sehe dann ein Bild und nicht mehr die Realität. Und in ganz seltenen Momenten weiß ich ganz genau: das ist ein gutes Bild und das wird ein gutes Foto. Wenn ich Porträts mache ist es sehr ähnlich. Bei den ersten Aufnahmen stellt sich kein Gefühl ein - ich mache meine Fotos und versuche das Modell dahin zu führen wo ich hoffe den Ausdruck zu finden den ich suche. Die Pose und die Kleidung müssen stimmen, das Licht muss stimmen. Und natürlich der Ausdruck im Gesicht des Modells. Dann sehe ich durch die Kamera ob alles im richtigen Verhältnis steht. Und dieses richtige Verhältnis der Teile im Bild ergibt diese besondere Stimmung und dieses besondere Gefühl. Ich beschreibe es immer mit einem Schwebezustand - ein Zustand von Unbestimmtheit, Unsicherheit. Manchmal weiß ich ganz genau, dass ich im Moment der Aufnahme ein gutes Foto gemacht habe. Das sind dann auch ganz besonders aufregende Situationen. Das ist wie bei der Jagd - man hat genau das eingefangen was man suchte.


EIN: Ihre Fotografien erinnern an Ölgemälde. Gibt es eine Verbindung zu Ihren früheren Arbeiten als Maler? Wie sehen Sie den Zusammenhang von Malerei und Fotografie?

Zunächst einmal sind Malerei und Fotografie einfach nur zwei Mittel die benutzt werden zur Bildherstellung. Und als ausgebildeter Maler weiß ich den Unterschied besonders gut zu beurteilen. Ich mochte noch nie den Satz dass: "Fotografie nichts weiter sei als Malerei mit Licht". Dieser Satz unterschätzt wie extrem verschieden und kompliziert diese beiden Techniken sind. Ich denke meine Fotografien sehen nicht aus wie Gemälde. Sie sind sehr klassisch in ihrer Thematik und Komposition und deshalb ist es einfach sie in eine historische Linie mit der Malerei zu stellen. Formal haben sie keine wirkliche Ähnlichkeit mit Malerei. Ich glaube es ist der Ausdruck meiner Fotos warum sie gerne mit der Malerei (insbesondere mit der Malerei der Vergangenheit) verglichen werden. Das ist aber für mich eher eine Art von Ratlosigkeit um die Bilder in einen Kontext zu stellen. Wenn ich an Malerei denke, denke ich zuerst an die Malerei der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und da ist es wiederum so, dass die Malerei fast nicht mehr ohne die Fotografie auskommt. Aus meiner Sicht aber war dies die aufregendste Zeit die die bildende Kunst je hatte. Gerade weil unterschiedliche Medien gleichzeitig den Künstlern als Ausdrucksmittel zur Verfügung standen. Seit ich begonnen habe zu fotografieren (ca. um 2003) finde ich bildende Kunst zu 89 % albern.


EIN: Die feministische Theorie behauptet, dass das Bild der Frau durch den männlichen Blick geprägt ist – der männliche Blick macht Frauen zu Objekten. Die Werbung, die diese Sichtweise transportiert findet sich überall im modernen Leben. Stimmen Sie dieser Perspektive zu? Wie bringen Sie Ihre Sicht auf Frauen in Ihrer Fotografie zum Ausdruck?

T.H.: Ich glaube niemand wird bezweifeln können, dass das Bild der Frauen in unserer Gesellschaft hauptsächlich durch den männlichen Blick geprägt ist. Und natürlich ist auch mein Blick auf Frauen ein männlicher Blick. Ich bin mir aber sicher, dass meine Bilder nicht in diese Kategorie fallen.


EIN: Warum inserieren Sie auf Ihrer Webseite, dass Sie Frauen suchen?

Gibt es Altersbeschränkungen?

T.H.: Frauen und Mädchen sind nun mal das was ich am liebsten fotografiere. Sie faszinieren mich. Als Künstler kann und muss ich das nicht weiter erklären. Meine bevorzugte Altersgruppe für die momentanen Projekte liegt zwischen 16 und 25 Jahren. Da sind Mädchen manchmal schon junge Frauen und umgekehrt sind junge Frauen noch Mädchen. Dies trifft wiederum auf mein Interesse an Zwischenzuständen, an Unentschiedenem, an Schwebezuständen. Da finde ich genau das was ich versuche festzuhalten. Die Altersbeschränkung in meiner Anzeige gilt nur nach unten. Ich habe keine Einschränkung nach oben was das Alter von meinen Modellen angeht.


EIN: In welcher Situation fragen Sie Ihre Modelle sich auszuziehen? Welche Reaktionen kommen da? Können Sie uns ein/zwei Geschichten mitteilen?

T.H.: Wenn ich nach Modellen suche schalte ich normalerweise eine Anzeige. Dort steht zu lesen, dass man sich meine Webseite anschauen soll und wenn man dann noch Interesse hat soll man sich bitte per E-Mail melden.

Ich stelle es frei, ob man sich nur porträtieren lassen will, ob man in Unterwäsche sitzt oder aber sich nackt fotografieren lässt. Für meine Serie "Nudes" habe ich allerdings gezielt nach Aktmodellen gefragt.

Es steht also fast immer vor dem Termin fest wie fotografiert wird, da gibt es keine besonderen Geschichten oder Überraschungen.


EIN: Haben Sie auch außerhalb vom Shooting in Ihrem Studio noch Kontakt mit den Modellen die Sie über einen längeren Zeitraum fotografieren? Wie erhalten Sie die Zusammenarbeit aufrecht? Welche Veränderungen beobachten Sie bei Frauen mit denen Sie mehrmals gearbeitet haben?

T.H.: Fast alle Modelle sehe ich nur einmal - einige wenige habe ich mehrmals fotografiert, weiteren Kontakt gibt es nicht. Sämtliche Kontakte laufen ausschließlich über E-Mails. Die Veränderungen die man beobachten kann bei den Modellen die ich mehrmals fotografiert habe sind teilweise minimal (Pearl) oder aber auch signifikant (Natasha, Doro). Da spielt der Zeitraum eine Rolle. Aus einigen Mädchen sind inzwischen Frauen geworden.


EIN: Wie und warum benutzen Sie Luftballons um das Thema Liebe darzustellen?

T.H.: "Love" ist der Titel der Arbeit - und nicht unbedingt das was ich damit darstellen wollte - Ihre Frage gefällt mir aber gut!

Der ursprüngliche Titel für die Fotoserie war "Love is in the air" nach dem Song von John Paul Young. Im deutschen sagt man nicht "Ballon" (balloon) sondern "Luftballon" (air-balloon). Der Songtitel war mir zu lang und so ist Love übrig geblieben. Es ist eine sehr körperliche/skulpturale Arbeit die ich sehr gerne mag. Denn wenn ich es genau bedenke steckt da meine Liebe drin. Erst muss ich die Ballons mit meiner eigenen Atemluft aufpusten. Dann muss ich sie arrangieren und fotografieren. Da steckt sozusagen wirklich von mir was drin. Vielleicht sind die Ballons Selbstporträts. Sie wirken ja auch fast wie Lebewesen.


EIN: In der Serie Rauch/Smoke sieht man eine Menge Unterwäsche. Welche Beziehung haben Sie zu deren Besitzer? Warum denken Sie, willigen sie einem Unterwäsche-Shooting zu?

T.H.: Die Bilder aus der Rauch/Smoke-Serie sind alle mit ein und demselben Modell fotografiert. Mit ihr wollte ich eigentlich Porträtaufnahmen schießen. Das hat aber überhaupt nicht funktioniert. Als ich dann nur noch ihren Körper im Bild hatte veränderte sich das ganze Projekt und zudem stellte sich noch heraus, dass dieses Mädchen die gleiche Begeisterung für Unterwäsche hatte wie ich. Die Sachen wurden teilweise von mir gekauft und teilweise von ihr mitgebracht. Die Serie ist mein erstes fotografisches Projekt.


EIN: Was ist Ihre Haltung gegenüber Sex?

T.H.: Ich glaube nicht dass man eine Haltung gegenüber Sex haben kann. Man kann Sex haben - oder aber auch nicht.


EIN: Würde es Ihnen etwas ausmachen uns etwas über Ihre Freundin zu erzählen?

T.H.: Ihr Name ist Susanne – im Mai diesen Jahres sind wir 20 Jahre zusammen und ich liebe sie sehr.

EIN: Können Sie unseren Lesern ein/zwei Lieblingskünstler/innen empfehlen?

T.H.: Ein oder zwei sind zu wenig – hier eine Liste von Künstlern die ich schon immer bewundere, bzw. Künstler mit denen ich mich im Moment sehr beschäftige:

Diane Arbus, Carlo Molino, Berenice Abbot, Morten Bartlett, Jitka Hanzlowa, Walker Evans, Sally Mann, Nobuyoshi Araki, Immogen Cunnigham, Robert Adams und viele viele viele andere …