DINGE AUSSER DIENST – NEUE FOTOS VON THOMAS HAUSER

 

Bettina Klix
 

 
1. Geschichten

Jede Nacht kommt er zurück. Die Laterne grüßt ihn diskret.
Er probiert die Handschuhe aus, die viel zu eng für ihn sind. Er versucht den Bügel als Bumerang zu benutzen. Mit dem Bügeleisen hinterlässt er Muster. Er nimmt die Waffe in seine Hand, obwohl sie für einen anderen passend gemacht wurde und ignoriert die Initialen.
Er lässt den Plattenspieler laufen und stapelt dabei Luftballons in einer Ecke.
Den Nebel bringt er selbst mit.
Er hat kein eigenes Haus, aber tagsüber braucht er auch keins.
Er wirft keinen Schatten.

Leg noch mal die zerkratzte Platte auf mit unserem Lied. Dann zieh die Lederhandschuhe an und gib mir damit die Waffe. Du kannst dich mit den beiden Bügeleisen verteidigen.
Vorher hängst du auf unserem letzten Bügel dein Kleid auf, es muss ja nicht schmutzig werden. Ich habe alle Luftballons für dich aufgeblasen, aber sie wollen nicht fliegen. Lieber hocken sie in der Ecke und beraten, wie sie das Schlimmste verhindern können.
Die Laterne wird schweigen.

Sie hatte genug verloren. Als sie unter der Laterne stand, zögerte sie. Die Tür stand einen Spalt offen. Dabei hatte sie ihr Kommen nicht angekündigt. Sie zog ihre Handschuhe straff. Dann glitt sie in das Haus. Es empfing sie, als habe es darauf gewartet, dass jemand käme, um die Tür endlich richtig zu schließen, - für immer.
Denn niemand wollte mehr hinaus.
Und sie wollte nirgends mehr hingehen.


2. Überlegungen

Eine klassische Unterscheidung ist die zwischen den Fotografen, die wie Bildhauer arbeiten und denen, die wie Detektive vorgehen. Thomas Hauser hat bei „Items“ beide Arbeitsweisen vereint. Das Bildhauerische ist bei den Luftballons am deutlichsten zu erkennen, besonders beim artistischen Trio. Hauser arrangiert und inszeniert, und dann dokumentiert er das Ergebnis wie etwas Vorgefundenes. Die Dinge sehen auf den Fotos aus, als wären es Standbilder eines Traumes.
Der Autor der Bilder fängt aber eine Unheimlichkeit ein, die er selbst nicht wirklich in der Hand hat.

Da Thomas Hauser Maler ist, soll noch einmal sein Wechsel des Mediums in den Blick genommen werden. Als Maler ist dieser Künstler jemand, der es sich nicht leicht macht, sich für mühselige, arbeitsaufwendige Verfahren entscheidet, die er, nach eigenen Angaben, selbst manchmal als „Strafarbeiten“ ansieht. Man kann davon ausgehen, dass auch bei seinen Fotos die Vorbereitung und Inszenierung sehr bewusst ist. Da es sich hier um alltägliche, wiedererkennbare Dinge handelt, müssen diese so „zurechtgemacht“ werden, dass ihnen ein ungewöhnlicher „Auftritt“ ermöglicht wird. Die Dinge streben nach Höherem. Das Haus als Bühne wäre zu eng, zu vollgestellt.
Die Gegenstände kommen hier  ins Bild, als seien sie sehr fern von ihren angestammten Plätzen, auf einer temporären Bühne. In ihrem Alltag kommen sie ja nicht dazu, sich zu zeigen. Außer, wenn Menschen psychedelische Drogen nehmen und ein Objekt entdecken, als schön, als belebt, als freundlich oder feindlich. Dann werden sie hypnotisiert oder versenken sich selbst  in die Betrachtung.
Dass die neue Kulisse für den Auftritt das Atelier des Künstlers sein könnte, verwischt sich durch die Geisterhaftigkeit der Inszenierung.
Ihrer Häuslichkeit entrissen, können und wollen die Dinge anderes als das, was sie sonst sollen. Der Bügel hängt nicht in einem Schrank, sondern er fliegt. Die Waffe liegt nicht in einer Schublade, sondern träumt. Das Bügeleisen gleitet nicht dienstbar über Stoff, sondern droht. Es gibt nur ein unbekanntes Objekt, eine Kiste, die aus einem Nachlass stammt und deren Bedeutung niemand mehr aufklären kann. Die Unbehaglichkeit steigert sich hier. Der Gegenstand wäre ein klassisches surrealistisches Objekt, da er rätselhaft und pervers zugleich ist, mit seiner voyeuristischen Implikation. Es wäre perfekt einzureihen in eine Linie mit Dingen, wie sie Andre Breton auf Flohmärkten fand und in seinen Büchern wie „Nadja“ nicht nur mit Worten beschrieb, sondern als Fotos beigab.

Dinge zu fotografieren kann bedeuten, ein Verzeichnis anzulegen. Das aber ist immer auch besitzanzeigend, für sich selbst oder im Auftrag. Doch die Objekte, die Thomas Hauser unter dem Titel „Items“ vorführt, haben keinen Besitzer mehr, sie sind ihrer Herkunft entfremdet. Gerade die beiden Nachlass-Gegenstände belegen das. Sie sehen nicht vererbt, sondern herrenlos aus.
Dinge außer Dienst führen ihr eigenes Leben. Wie das aussehen könnte, müssen sie erst ausprobieren. Die Fotos, die uns hier gezeigt werden, sind Vermutungen darüber, was sie wollen. Auf den ersten Blick sehen die Gegenstände recht selbstgenügsam aus. Doch das löst Fantasien aus.
Der Bügel will nackt sein. Der Plattenspieler will immer nur seine Lieblingsplatte laufen lassen. Die Luftballons wollen nicht lustig sein, sondern trübsinnige oder sogar unheimliche Stimmung verbreiten.

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Der Lederhandschuh, der als Fetisch missverstanden werden könnte und deshalb aus der Dingversammlung herausfällt, ist mehr ein verkapptes Selbstporträt des Fotografen oder genauer: ein Hinweis auf sein Werkzeug. Mir war sofort aufgefallen, dass der Handschuh eher prothesenartig aussieht. Ich konnte mir das aber nicht erklären. Doch später stieß ich auf die Überlegungen von Rosalind Krauss, die mich daran erinnerten, dass die Kamera eine der optischen Prothesen des Menschen ist. Und je leichter die Kamera wurde, umso mehr schien sie mit der Hand verwachsen. Zahlreiche Arbeiten von Fotografen besonders der 20erJahre brachten ihre Hand oder deren Schatten mit ins Bild.
Sigmund Freud hatte 1930 in „Das Unbehagen in der Kultur“ die kulturellen Mittel beschrieben, mit denen die menschlichen Fähigkeiten ausgedehnt werden. Sein Fazit: „Der Mensch ist sozusagen eine Art Prothesengott geworden, recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen.“
Dieser Handschuh, wie angelegt, um auf der Waffe (Revolver oder Kamera?) keine Spuren zu hinterlassen, beschäftigt sich, wie in einer Arbeitspause, mit sich selbst. Eine Hand legt sich nachdenklich auf die andere, das Leder spannt extrem.

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Die Dingversammlung von Items  ist eine Ersatzfamilie. Wenn häusliche Umgebung den Rahmen bildet, werden ja zuerst die Menschen fotografiert. Die Ausnahme bilden Festtagsdinge wie der Tannenbaum, oder die Gaben auf einem Geburtstagstisch.
Hier ist die Kernfamilie der beiden Bügeleisen bedroht.
Was könnte unschuldiger sein als ein paar bunte Luftballons? Doch hier haben sich sehr merkwürdige Exemplare dieser Gattung eingenistet. Als Gäste eines Festes geduldet, haben sie sich aber nicht wie üblich mit der Zeit vermindert, sondern vermehrt. Sie halten zusammen. Die beiden metallisch wirkenden Ballons auf der Einladungskarte sehen sehr wie Aliens aus. Aber alle verhalten sich merkwürdig, auch die bunten. Sie bilden Formationen, aber nicht die, für die sie bekannt und beliebt sind, sie fliegen nicht, sondern hocken in der Ecke, kleben am Boden oder steigen auf den Rücken des andern. Sie scheinen nicht mit guter alter Erdluft gefüllt, sondern mit etwas Schwerem. Die Spiegelungen, die sich auf der Außenhaut der Ballons zeigen, weisen auf ein wenig vertrauenserweckendes Inneres hin, außerirdische Räume, wo noch gespenstischere Geschwister sich tummeln oder ihren Einsatz abwarten. Die angestammten Bewohner werden verdrängt.
„Love is in the Air“ – der ursprüngliche Titel der Ausstellung klingt so eher drohend. Denn das Ziel der Invasion ist völlig ungewiss. Eine Liebesmission sieht anders aus.
Die beiden Bügeleisen haben sich schon in Stellung gebracht, sie zeigen ihre Unterseiten wie Klingen.

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Eines der Fotos muss noch gesondert betrachtet werden: die Laterne. Es macht sich schon dadurch selbstständig, dass es das einzige Bild ist, das außerhalb des Hauses entstand. Das Objekt gehört aber noch zu der imaginären „Häuslichkeit“ dazu, weil es an der Außenwand als Wächter fungiert. Der Hintergrund ist nächtlich dunkel, während die Hausgeister alle vor hellen Wänden auftreten, bis auf eine Ausnahme. Jedenfalls haben sie alle Innenraumlicht, egal ob Tag oder Nacht. Das Licht im Innern der Laterne ist sehr intensiv und es weist auf eine geisterhafte Anwesenheit hin. Ein Geist, der sogar einen Namen hat.
Schon in Hausers Arbeiten der „State One“-Phase tauchte der Geist eines verehrten Toten auf. Für den Uneingeweihten auf dem Gemälde-Phantombild nicht erkennbar, freundlich lächelnd, entwirklicht, das den Titel „Präsident“ trug. Posthum zum  Kopf eines imaginären Staates gemacht, Herr sozusagen über geisterhafte Mädchen, deren Vorbilder aus dem Internet gerettet und umgemalt worden waren: Martin Kippenberger. Eine der bekanntesten Arbeiten dieses Künstlers ist nun aber eine schwankende Laterne, die den Sender-Namen trägt: “Laterne an Betrunkene“. In ihrer gebogenen Gestalt ahmt sie den alkoholisierten Blick nach und bietet treuherzig ihren Halt an.
Das Licht der Laterne beweist: Hier ist jemand zu Hause. Trotz der traurigen Referenz wirkt dieses Objekt wie der einzig zuverlässige, gute Geist, unter all den träumenden Objekten, die hier versammelt sind und die allesamt unberechenbar sind.


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Vortrag gehalten am 17. August 2007, anlässlich der Ausstellung „Items“, Fotografien von Thomas Hauser in der Galerie Laura Mars Grp., Berlin.

 
Bettina Klix, Autorin, lebt in Berlin. Debüt bei Suhrkamp mit "Tiefenrausch". „Rapture of the Depths" bei Ekstasis Press, Canada. Schreibt unter anderem für den "Freitag", "Junge Welt", "shomingeki", "ST/A/R", "Miromente" und für verschiedene Anthologien, z.B. "Minutentexte. The Night of the Hunter"(2006), wo sie per Losverfahren gerade die Minute zur Beschreibung erhielt, in der Shelley Winters vom falschen Priester Robert Mitchum ermordet wird.

 

© Bettina Klix

 

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